Die Rallye-Historie von Škoda reicht Jahrzehnte zurück. Heute bilden die Tschechen den Nachwuchs für VW aus und fahren in der WRC2 vorne mit – Auf Sardinien lief es nicht gut.
Gegen viertel nach neun am Freitagabend herrscht konzentrierte Geschäftigkeit. Der Flatscreen unter dem Planendach zeigt Satellitenbilder von Google Earth, auf denen sich blaue und grüne Punkte mit Zahlen befinden. Der Punkt, der die Aufmerksamkeit des Škoda-Teams gefangen hält, trägt die Nummer 32 und ist blau. Das bedeutet: Er bewegt sich nicht.
Der Punkt markiert die Position von Sepp Wiegands Rallye-Auto, einem Škoda Fabia S2000. Es steht zwischen der siebten und der achten Wertungsprüfung (WP) der Sardinien-Rallye. Die achte WP ist die letzte des ersten Tages und Wiegand hat ein Problem. Sein Škoda läuft nur noch auf drei Zylindern. Motorschaden? Oder nur ein kaputter Sensor? Ein Teammitglied erklärt Wiegand übers Handy, wie er den Sensor totlegen kann. Er übersetzt die Anweisungen von Wiegands Renningenieur. Ruhig und kontrolliert läuft das alles ab. Von Hektik kein Spur.
Wiegand fährt wenig später weiter. Der Fehler scheint nicht behoben. Die WP 8 tritt er noch an, muss seinen Fabia aber bald am Wegrand parken. Kein Sensor-, sondern doch eher ein Motorschaden.
Überholt vom WM-Kandidaten
Nächster Morgen. Es warten weitere acht Wertungsprüfungen auf die Fahrer. Alles auf Schotter, alles im Hinterland bei Olbia. Wir machen uns gegen 7.30 Uhr auf den Weg. Die Teilnehmer sind da schon längst unterwegs. Dabei sind die Letzten am Vorabend erst nach 23 Uhr im Parc Fermé eingetrudelt. Mein Begleiter ist Matthias Kahle, siebenfacher deutscher Rallye-Meister und mit einer kurzen Unterbrechung seit 2002 in Škoda-Diensten.
Über die gewundenen, kleinen Straßen geht es zur 2. WP des Tages, der SS10. Ziel ist ein Aussichtspunkt, an dem man die Autos schon aus der Ferne sehen kann. Ganz nah ist man ihnen dann in einer langsamen Passage mit diversen Wechselkurven, in denen die Autos Staubfontänen hinter sich schleudern. Doch auf dem Weg dahin macht sich hinter uns zunächst ein laut brüllender VW Polo GTI bemerkbar. Verbreiterte Kotflügel, blau-bunte Kriegsbemalung. Er überholt bald, und auf den hinteren Seitenscheiben steht S. Ogier und J. Ingrassia.
Für gewöhnlich passiert das nicht, dass man von einem Rallye-Weltmeister überholt wird, bei einer Rallye ist es Alltag. Die Teilnehmer müssen genauso wie die Zuschauer auf öffentlichen Straßen von WP zu WP fahren. Auf eigener Achse. Schon allein deshalb sollte man sich das als Auto- und Motorsportfan mal antun. Da passiert man gerne mal eine Gruppe hochgezüchteter Rallye-Autos am Straßenrand vor dem Start einer Etappe. Man kann beobachten, wie Fahrer und Beifahrer auf dem Seitenstreifen Reifen wechseln. Oder man wird eben von einem der Stars der World Rally Championship (WRC) überholt.
Engagement gefordert
All das kostet ein wenig Mühe, man muss sich informieren. Wo sind die besten Aussichtsplätze, wie ist der Zeitplan? Schaffen wir die WP 8 noch, wenn wir uns die schnelle Passage auf der WP 6 anschauen wollen? Sind wir bereit, den ein oder anderen Kilometer zu laufen, um an die spektakulärsten Stellen zu kommen? Bei Rundstreckenrennen gibt es derartige Erwägungen nicht, doch dafür ist man auch nicht so dicht am Geschehen. Kahle sagt: “Als Zuschauer fährst du die Rallye auch mit.”
Škoda ist seit 112 Jahren im Motorsport aktiv, zunächst noch mit Zweirädern, aber schon 1906, ein Jahr nach Aufnahme der Autoproduktion, standen die ersten Autorennen auf dem Programm. 1936 nahm Škoda mit einem Popular an der Rallye Monte Carlo, der Mutter des modernen Rallye-Sports, teil. Und in Tschechien ist Rallye Volkssport.
Kein Wunder, dass Kahle ständig erkannt wird. Wo man hinkommt, rufen angereiste Tschechen “Matthias!” und lassen sich mit ihm fotografieren. Die Erfolge, die er mit Škoda eingefahren hat, vergessen ihm die Tschechen nicht.
Nachwuchs für den VW-Konzern
Sepp Wiegand soll jetzt daran anknüpfen. Man darf den 23-Jährigen als deutsche Rallye-Hoffnung bezeichnen. Im vergangenen Jahr bei der Intercontinental Rally Challenge wurde er Vierter der Gesamtwertung, in der WRC2 fährt er vorne mit. Es ist kein Geheimnis, dass VW, die ja erst 2013 in die WRC eingestiegen sind, sich einen deutschen Fahrer wünschen würden. Das Rallye-Programm von Škoda in der WRC2 ist eben auch Nachwuchs-Arbeit für den VW-Konzern und damit für die “erste Liga” der Rallye-WM.
Dass am Samstag kein Škoda mehr im Rennen war, ist schade, störte das Erlebnis aber kaum. So hautnah kann man Motorsport sonst schließlich nicht erleben. Insbesondere auf Sardinien. Direkt an der Strecke kann man hier stehen, ohne Absperrung Staubfahnen, spektakuläre Sprünge oder Drifts bei 180 km/h erleben. Das mutet zuweilen an, als wäre man zurückgereist in die 70er, als manche Zuschauer sich noch einen Spaß daraus machten, erst im letzten Moment aus der Bahn zu springen. Ganz so extrem ist es heute nicht mehr und Sardinien ist ein Sonderfall. Hier grenzt Zuschauen noch an Leichtsinn. Aber es ist ein aufregender Leichtsinn.
Dieser Artikel erschien am 29. Juni 2013 in der “Berliner Zeitung”.
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